Wunderbar, Sie haben jetzt Ihre Filmidee als kurzen Text skizziert. Viel mehr als zehn Sätze sollten es nicht geworden sein. Viel weniger aber auch nicht.
Dieses Kapitel behandelt zwei Themen, die man auch unabhängig sehen kann, sie haben aber beide mit der von Ihnen zu gestaltenden Figur zu tun, deswegen fasse ich hier beides zusammen:
1. Was folgt aus Einschränkungen, die Sie aus technischen Gründen haben?
2. Was folgt aus der innereren Logik Ihrer Figur?
Mängel bei der Umsetzung nutzen
Sie werden es mit Mängeln zu tun haben. Je früher Sie diese kennen und akzeptieren, desto besser: Vielleicht kann die von Ihnen eingesetzte Animations-Software bestimmte Dinge nicht darstellen? Vielleicht fehlen Ihnen Fähigkeiten beim Animieren? Wunderbar! Integrieren Sie diesen Mangel von vornherein in die Geschichte!
“Pump Action” wurde im Wesentlichen mit Cinema 4D, Version 6 angefertigt. Es gab darin bereits inverse Kinmatik und Bones, aber das “Rigging” war doch noch sehr rudimentär, die Firma Maxon möge mir dieses rückwirkende Urteil verzeihen. Es führte dazu, dass die Figuren oft aussahen wie aufgeblähte Würste. Phil McNally konnte diesen Mangel geschickt nutzen, indem seine Geschichte von aufblasbaren Charakteren handelt. Wunderbar. Nun sind diese Probleme längst Schnee von gestern. Aber das Prinzip bleibt: Integrieren Sie Darstellungsprobleme in die Geschichte! Das könnte so weit gehen, dass ein Charakter sich über seine geringe polygonale Auflösung ärgert und beschließt, daran etwas zu tun.
Gesichtsanimationen, zu Deutsch: Facial Animation
Ich bin immer wieder entsetzt, wenn ich Facial-Animations sehe. Egal, ob die nun in Hollywood oder Bremen verbrochen wurden. Meistens sieht es einfach grauenhaft aus. Starrende Wachspuppen verziehen quälend ihre Visagen, als kämpften sie gegen eine Überdosis Botox an. Hinzu kam bei meinem ersten Film “EINS”, dass ich keine Erfahrung mit Facial-Animations hatte. Also war klar: ich lasse Facial Animations weg. Ich schaffe einen Charakter, der eine stoische Maske als Gesicht trägt. Zum einen verstärkt das die Wirkung dieser eher melancholischen, zurückgenommenen Figur “EINS”, zum anderen kann ich es wunderbar nutzen, indem “EINS” am Ende des Films behauptet zu lächeln. Sehen kann man davon nichts. Daraus kann man eine Wirkung erzielen und genau das habe ich damit auch beabsichtigt. Schauen Sie sich einmal einen Film mit Buster Keaton an, dann wissen Sie sicher, was ich meine.
Innere Logik durch den Charakter der Figuren
Wenn Sie eine Figur entwerfen, dann folgt eine Menge innerer Logik aus diesem Entwurf. Wenn Ihre Figur eine Schraube ist, dann hat sie sicher Angst vor Rost und weiß schöne Gewinde zu schätzen, wenn sie eine Krähe ist, dann ist sie vielleicht von einer Sammelleidenschaft geprägt und wenn Ihre Figur ein Auto ist, dann will sie gern Rennen fahren oder Dinge transportieren und fürchtet einen platten Reifen. Autos haben bestimmt auch Humor und machen sich über den Durst anderer Autos lustig oder so. Verstehen Sie, wie ich es meine? Lassen Sie sich auf die “innere Logik und Weltsicht” Ihrer Figuren ein!
Realität? Was für eine Realität?
Virtuelle Charaktere haben noch einen Riesenvorteil gegenüber Charakteren, die man möglichst eng an die Realität anlehnt: Sie können ganze Lebensbereiche einfach weglassen. Ein Charakter kann ohne Geschlechtsleben oder sozialen Kontext existieren. Er kann z.B. in einer Welt ohne Individualität leben, ohne dass man das als eine schreckliche Orwellsche Fantasie sehen muss: Er ist so modellhaft, dass Ihnen die Nichtexistenz von menschlichen Komplexitäten und Kontexten neue Erzählmöglichkeiten eröffnet!
Also: Ihre künstlerischen und technischen Fähigkeiten oder die Mängel darin führen Sie auf machbare Charaktere. Charaktere entwickeln eine eigene Logik und Perspektive, wie sie die Dinge sehen. Daraus erwächst fast von selbst eine gute Geschichte.
Immer wieder sehr aufschlussreich, was Du in Deinem Blog ausgräbst und ansprichst. Respekt.
Bei “Facial Animation” bin ich zwar Deiner Meinung – die meisten Gesichter sind einfach nur extrem schlecht animiert -, aber nichtsdestotrotz hat sie ihre Berechtigung in vielen Fällen. Man sollte sie nicht per se ausschließen. Ich erinnere an “Coraline”, z.B. die Szene, in der sie die Tapetentür aufmacht und dahinter nur die Mauer sieht. Die ganze Mimik wurde allein durch verschiedene austauschbare Gesichtsschalen erzeugt und wirkte trotzdem nicht starr.
Wenn ein Charakter eine stoische Maske trägt, aber eben nicht melancholisch oder zurückgenommen sein soll (das ist eben Deine subjektive Charakterdarstellung), müssen Gesichtsmimiken unbedingt erlaubt sein. Dass die ungemein schwieriger zu realisieren sind, ist klar.
Es ist eben so, dass Entgleisungen bei Gesichtsmimik durch unsere ererbte Aufmerksamkeit dafür sofort auffällt.
Ich finde aber auch viele reine Bewegungsabläufe oft dilettantisch und unpassend zum Charakter.
Jochen
Lieber Jochen,
danke für Deine freundlichen Worte. Ich bin auch nicht generell gegen tolle Gesichtsanimationen. Aber man muß nicht unbedingt mit dem schwersten anfangen, der Film kann dennoch – oder gerade wegen der Weglassung besonders gelingen. Das wollte ich nahebringen.
Und wenn man dann Facials zuläßt heißt das noch lange nicht, daß die dann “realistisch” sein müssen. Es könnten ja aufgemalte, comic-artige Gesichtsausdrücke sein, z.b. Ich betone diese Aspekte deswegen, weil die 3D-Szene mir etwas festgefahren scheint in einem unbegründeten und extrem aufwendigen Wunsch nach Realismus, der dem Ausdruck und der Wirkung teuer entgegensteht.
Zu den Bewegungsabläufen: Auch die kann man weglassen und dabei gewinnen! Echt!
Jens