Eine Minute braucht 100 Stunden

Sie haben sich mit Ihren Fähigkeiten auseinandergesetzt und sind sich der Stärken und Schwächen bewusst? Sie haben evtl. einen Teampartner, der komplementär zu Ihnen etwas einbringt? Super. Dann denken wir mal über den Gesamtaufwand nach.

Haushalten mit der eigenen Zeit

Ich habe mit einigen Menschen gesprochen, die sich in das Abenteuer stürzten, einen eigenen Film zu produzieren. Die meisten haben mir gegenüber stolz und freudig verkündet, dass sie nun endlich ohne Rücksicht auf enge Zeitpläne und knappe Ressourcen arbeiten könnten. Die meisten haben ihren Film nie fertig bekommen. Genauso habe ich auch gedacht, als ich mit dem Film “EINS” anfing. Ein Irrtum. Es gibt mindestens eine sehr knappe Ressource in Ihrem Projekt – das sind Sie selbst! Von Phil McNally habe ich gelernt, akribisch darauf zu achten, womit man seine Zeit verbraucht und wo hinein man die Tagesaktivität steckt. “Pump Action” ist fertig geworden!

Eine Minute braucht 100 Stunden

An dieser Stelle macht es Sinn, kurz innezuhalten und abzuschätzen, wie viel Zeit Sie investieren wollen, um Ihren Film anzufertigen. Aus meiner Erfahrung würde ich schätzen, dass Sie pro Minute 3D-Animation etwa 100 Arbeitsstunden investieren müssen. Es kann sein, dass es nur 50 Stunden sein werden oder auch 200, aber lassen Sie uns einmal bei 100 Stunden bleiben, damit wir einen Peilwert haben. Für meinen Animationsfilm “EINS” habe ich ziemlich genau 500 Stunden gebraucht -und er ist 5 Minuten lang. Und genau daher habe ich auch diese Zahl.

Wie lang darf mein Drehbuch sein?

Sobald Sie Ihren Film in Form eines Drehbuchs aufschreiben werden, ist es wichtig, dass Sie im Hinterkopf behalten, wie lang Ihr Film maximal werden darf.

Eine Drehbuchseite beschreibt ungefähr eine Minute Film. Wenn Ihr Drehbuch später 90 Seiten hat, können Sie ruck, zuck abschätzen, dass Sie die Produktion des Films 9000 Stunden kosten wird. Sie müssen dann also entweder sechseinhalb Jahre in Vollzeit daran arbeiten oder Sie machen einen kürzeren Film. Man kann unglaublich viel in wenigen Minuten erzählen, ich staune darüber immer wieder selbst. Das liegt daran, dass Film eine enorme Informationsverdichtung darstellt – er sendet auf mehreren Kanälen gleichzeitig: Bild, Live-Ton, Musik, Off-Sprecher, Texteinblendungen, um die wichtigsten zu nennen. Hinzu kommt, dass der Schnitt selbst genutzt werden kann, um Erzählungen zu komprimieren.


Schnitt kann auch als Mittel zur Verdichtung dienen. Wecker klingelt – Schnitt – Augen auf – Schnitt – der Held ist auf der Arbeit. Alles dazwischen fehlt: Kein Aufstehen, Zähneputzen, Waschen, Anziehen und so weiter. Vermutlich ist der Schnitt sogar das Hauptwerkzeug, um die Handlung zu verdichten.

Entscheidungen sofort, teure Arbeiten später
Das ist doch interessant: Eine Minute Film entspricht einer einzigen Drehbuchseite und um diese zu animieren, werden Sie 100 Stunden brauchen! Hier wird deutlich, warum Sie ein Drehbuch schreiben sollen, bevor Sie animieren: Sie können nach wenig Schreibarbeit einen Film “visualisieren” (indem Sie das Drehbuch lesen) und bekommen einen ersten Eindruck über das Gesamtwerk. Daraus können Sie Entscheidungen über Änderungen ableiten, bevor Sie die 100 Arbeitsstunden pro Seite in Ihr Projekt stecken! Dieses Prinzip wiederholt sich noch ein paarmal:

Früh visualisieren und entscheiden, später mit Arbeitsstunden vollenden. Nie anders herum!

Knappe Ressource
Also: Um einen 3D-Animationsfilm zu produzieren, brauchen Sie als Ressource Ihre Arbeitskraft. Diese ist knapp. Sie wissen selbst, wie viel Zeit Sie in einem Jahr für Ihren Film erübrigen können. Ich mache jetzt einmal eine Beispielrechnung auf:

Wie lang darf Ihr Film werden?
Tun wir mal so, als wollten Sie binnen eines Jahres einen Film an verschiedene Animations- und Kurzfilmfestivals schicken. Gehen wir mal davon aus, dass Sie pro Woche 8 Stunden investieren können: Mittwochabend 2 h, Samstagnachmittag 2 h und Sonntag 4 h. Ihr Jahr hat 52 Wochen, ziehen wir mal 10 Wochen für Urlaub und Krankheit ab, dann bleiben 42 Wochen zu je 8 Stunden: Sie haben 336 Stunden, die Sie in Ihren Film stecken können. Sie können also einen Film produzieren, der 3 Minuten und 21 Sekunden lang ist. Ihr Drehbuch darf somit 3 Seiten haben.

Übung

So, nun sind Sie an der Reihe: Bevor Sie das nächste Kapitel aufschlagen, überlegen Sie sich ehrlich und in Ruhe, wie lange Sie an dem Film arbeiten wollen (1 Jahr? 3 Monate?) und wie viel Zeit Sie garantiert pro Woche in den Film stecken wollen (8 Stunden? 40 Stunden?). Fertig? Super: Sie wissen jetzt, wie lang Ihr Drehbuch werden muss. Schreiben Sie es noch nicht! Warten Sie noch ein bisschen ab und lesen Sie das nächste Kapitel. Machen Sie sich einen Stundenplan. Prüfen Sie in der kommenden Woche schon mal, ob Sie den einhalten können und halten Sie den ab sofort auch ein.

Übung

Ehrlich schätzen: Falls Sie eine Familie haben und einen Job, 2 Jahre Zeit investieren wollen und zu dem Schluss kommen, dass Ihr Film 90 Minuten lang wird, möchte ich Ihnen empfehlen, etwas ehrlicher zu schätzen. Oder lassen Sie sich erst einmal scheiden, dann sehen wir weiter.

Ich habe den Film “EINS” in zwei Sprachen erstellt: Auf Deutsch und auf Englisch. Er ist mit Titel und Abspann 5 Minuten lang und ich habe 460 Stunden hineingesteckt, vom leeren Blatt Papier bis zur ersten Festival-Einladung zum ISFF-Detmold, es folgte dann kurz danach die SIGGRAPH. Die Annahme, 100 Stunden für eine Minute Film zu rechnen, kommt also nicht ganz von ungefähr. Vielleicht brauchen Sie aber auch nur 50 Stunden oder aber 200? So ganz genau wissen Sie es erst, wenn Sie fast fertig sind. Hier geht es mir wirklich nur um die Größenordnung – es sind mir schon Drehbücher gezeigt worden, gegen die Harry Potter eine Kurzgeschichte ist!

Übung

Schauen Sie sich zwei oder drei Spielfilme an. Achten Sie nur darauf, wann geschnitten wird und was dieser Schnitt bewirkt! Versuchen Sie ein “analytisches Auge” auf den Film zu werfen!

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