Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich für eine Filmidee entschieden! Die Kurzbeschreibung liegt vor Ihnen. Nun geht es darum, diese Idee so weit zu konkretisieren, dass man den Film bereits erahnt. Auch wenn Sie vielleicht schon vieles im Kopfkino vor sich sehen – Sie können es nicht kommunizieren und haben es noch nicht fixiert. Falls Ihre Idee sich im Laufe der nächsten Monate verändert, wollen Sie es doch wenigstens bemerken und sich klarmachen, ob Sie diese Änderung wollen – oder nicht! Also schreiben Sie ein Drehbuch – es ist der schnellste und billigste Weg zu einer Vision des Filmes, den Sie machen werden. Außerdem wird der Film in Textform notiert. Das hat den Vorteil, dass Sie gerade nicht auf die Verführung toller Bilder hereinfallen, wenn es darum geht, die Story zu beurteilen. Natürlich muss am Ende beides gelingen: Die Geschichte UND die Bilder. Zur Beurteilung der Geschichte betrachten wir sie besser einmal ganz ohne die Bilder.
Übung
Dieses Verfahren der getrennten Betrachtung kann ich als generelles Vorgehen empfehlen. Wenn Ihr Film später weit gediehen ist, beurteilen Sie immer mal wieder die Komponenten getrennt: Wie wirkt der Film ohne Ton? Wie wirkt nur der Ton? Wie wirken die Geräusche allein? Die Musik allein? Alles muss gelingen, jede Komponente für sich und auch im Zusammenspiel!Über das Schreiben von Drehbüchern gibt es einiges an Literatur. Falls Sie noch nie ein Drehbuch geschrieben haben, greifen Sie vielleicht zu einem Buch von Syd Field.
Es kann Ihnen auch sehr helfen, eine Software zum Schreiben zu benutzen, die Sie bei der Formatierung von Drehbüchern unterstützt. Es gibt Programme zu kaufen. Sie können aber auch kostenlos das Programm Celtx herunterladen und mit der frei verfügbaren Version einfach loslegen. Ich schreibe meine (kurzen) Drehbücher mit Celtx und bin damit recht zufrieden.
Ihre Idee bekommt jetzt eine zeitliche Struktur und eine zunehmende Konkretion. Skizzieren Sie sich möglichst früh das “Paradigma” Ihres Films. Falls Sie das nicht sofort aus dem Ärmel schütteln können, macht es nichts, Sie können auch erst das Drehbuch schreiben, dann das Paradigma durch Analyse des Drehbuchs notieren und danach in Ruhe überlegen, ob Sie Ihr Drehbuch noch ändern wollen.
Was ist das Paradigma?
Ich fasse hier extrem kurz zusammen, was ich bei der Lektüre von Syd Field gelernt habe, Sie können es dort ausführlicher nachlesen:
Das Paradigma unterteilt Ihren Film in 3 Teile: Eine Einführung, einen Mittelteil und einen Schlussteil. Über den Daumen gepeilt sind diese drei Teile gleichlang. In der Einführung werden die Charaktere dem Zuschauer vorgestellt. Es folgt ein einschneidendes Ereignis, der sogenannte erste Plotpoint, der die Handlung in Gang setzt. Die wesentliche Handlung läuft im Mittelteil ab, bis der zweite Plotpoint, ein weiteres entscheidendes Ereignis, die Handlung auf ein Ende hinwendet. In der Mitte des Filmes empfiehlt sich die Herausarbeitung des “zentralen Plotpoints”, das ist die wichtigste Aussage des Films, die wesentliche Einsicht des Handelnden.Wie lang darf das Drehbuch sein?
Pro Film-Minute spendieren wir eine Drehbuch-Seite. Ihr Film ist drei Minuten lang? Dann haben Sie eine Seite für die Exposition, eine Seite für die Handlung und eine Seite für den Schluss. Am Ende von Seite 1 steht der erste, am Ende der Seite zwei der zweite Plotpoint. Der zentrale Punkt wird in der Mitte von Seite zwei beschrieben. Das ist doch ein konkretes Korsett, nicht wahr? Sie fühlen sich dadurch eingeengt? Egal, dann schreiben Sie einfach mal los und versuchen Sie, nur die Gesamtlänge einzuhalten. Hinterher erkennen Sie bestimmt die Plotpoints und können Sie sicher noch leicht verschieben. Es kann auch sein, dass Sie sich freuen, weil Sie sich nun endlich nicht mehr in Nebensächlichkeiten verzetteln: Sie haben dafür nämlich keinen Platz! Kommen Sie zur Sache! Fassen Sie sich kurz! Oder machen Sie alles ganz anders, als ich es hier empfehle. Es gibt immer auch ganz tolle Ausnahmen, die trotzdem funktionieren.
Was schreibt man in ein Drehbuch?
Das ist ganz einfach: Man schreibt auf, was der Filmbetrachter sehen und hören wird. Falls Sie einen Gedanken sichtbar oder hörbar machen wollen, dann ist das eine Erzählstimme. Sie können natürlich auch eine Gedankenblase einblenden, so wie es in Comic-Darstellungen üblich ist. Dann schreiben Sie: GEDANKENBLASE: Blabla. Falls Sie Dinge nicht so genau wissen, kein Problem, werden Sie nicht zu genau. Wenn die Handlung in der Küche spielt, schreiben Sie einfach “In der Küche”. Wenn es wichtig ist, dass dort ein Ofen steht, schreiben Sie: Im Hintergrund steht ein gusseiserner Ofen. Falls der Ofen nicht wirklich entscheidend ist, um den Film in seiner Kernaussage zu verstehen, dann lassen Sie seine Erwähnung einfach weg, Sie haben noch genug Gelegenheiten, sich mit derartigen Details zu befassen – oder sie ganz wegzulassen. Kennen Sie den Film “Dogville” mit Nicole Kidman? Erwähnen Sie nur die Details und Gegenstände, die Sie wirklich für die Handlung benötigen.
Ich sehe schon, Sie können es kaum erwarten, Ihr Drehbuch zu schreiben – prima. Vielleicht noch ein Wort zum Charakter von Filmen:
Filme sind hochverdichtete Informationsflüsse und haben im Allgemeinen den Charakter von Romanen, also den Charakter von Erzählungen, nicht etwa den von Bildern. Es strömen mindestens sechs veschiedene “Kanäle” gleichzeitig auf den Betrachter ein. Diese Kanäle sind: Bild, Umgebungston, gesprochener Dialog, Musik aus dem Off, eingeblendeter Text, Sprecher aus dem Off. Leider entgeht dem durchschnittlichen Zuschauer leicht ein Detail auf einem Kanal. Es gibt auch Zuschauer, die einen Kanal bevorzugen oder gar nicht wahrnehmen können. Manche Menschen achten z.B. mehr auf die Dialoge, andere mehr auf die ausgeführten Handlungen der Darsteller. Die wirklich wichtigen Dinge sollten Sie also am besten auf allen Kanälen gleichzeitig transportieren oder Sie wiederholen sie, indem Sie sie z.B. einmal zeigen und ein weiteres Mal aussprechen lassen. Die Kanäle können sich auch gegenseitig stützen. Liest z.B. ein Held eine Nachricht, dann kann die Musik aus dem Off die Bedeutung dieser Nachricht unterstützen.
Schreiben Sie nun nach Herzenslust, gern auch mehrere Fassungen. Seien Sie nicht zu kritisch mit sich selbst, notfalls schreiben Sie einfach das schlechteste Drehbuch der Welt – Sie müssen es ja niemandem zeigen. Kritisch betrachten können Sie es immer noch, wenn Sie eines haben. Das machen wir im nächsten Kapitel, wenn Sie mit dem Drehbuchschreiben fertig sind. Nur Mut – es geht um einige wenige Seiten!
Als Beispiel das Drehbuch zu “EINS”
Ein Drehbuch unterscheidet sich von einem Roman doch deutlich. Es wirkt etwas hölzern, weil eine sprachliche Eleganz außerhalb der gesprochenen Texte einfach nicht vorkommt. Abgesehen von den gesprochenen Texten (Erzähler inklusive) beschreibt man nur das, was der Betrachter wahrnehmen kann (Gegenstände, Kamerafahrten, Lichtsituationen, Geräusche etc.). Das macht man deswegen, weil viele literarische Tricks und Handwerklichkeiten eines Romans einfach nicht in einen Film übertragbar sind, es sei denn, man liest den Roman ab. Also: Vieles, was im Roman funktioniert, funktioniert in einem Film nicht. Und umgekehrt gilt das auch. Dennoch kommt der Film vom Roman und beide Erzählformen sind sich sehr ähnlich. Mehr darüber können Sie gut nachlesen bei James Monaco: “Film verstehen”.
Übung
Was halten Sie davon, Ihr Drehbuch einmal laut vorzulesen und das gleich aufzuzeichnen? Lassen Sie die Aufnahme ein paar Tage ruhen und hören Sie sie dann z.B. abends vor dem Einschlafen als “Geschichte” an. Spult sich vor Ihrem inneren Auge ein Film ab? So wie früher, als man Ihnen Geschichten vorgelesen hat, als Sie noch ein Kind waren? Gut!Literaturhinweise:
Syd Fields Bücher
Elizabeth George: “Wort für Wort”, eigentlich eine Anleitung zum Romanschreiben, aber so gut, dass dieser Blick über den Tellerrand nicht schadet!